Die unsichtbare Sammlung: Von der Bibliothek von Stefan Zweig zur Bibliotheca Bodmeriana

Marc Adam Kolakowski (Bodmer Lab, Universität Genf)

Internationale Stefan Zweig Gesellschaft, Jahrestagung in Genf

Fondation Martin Bodmer, 2. September 2017

Nach dem Bekanntwerden, im Februar 2017, einer unveröffentlichten Korrespondenz zwischen dem Wiener Antiquar Heinrich Hinterberger, Beauftragter von Stefan Zweig für den Verkauf seiner berühmten Autographensammlung, und dem Zürcher Bibliophilen Martin Bodmer, kann man annehmen, dass letzterer im Laufe des Jahres 1936 den Grossteil der Manuskripte erworben hat, von denen sich der Schriftsteller trennen musste, weil er gezwungen war, Österreich angesichts der wachsenden Gefahr des Nazismus zu verlassen.

Der Verkauf erfolgte in drei Etappen, von denen bisher nur die erste dokumentiert ist (Matuschek, Wien 2005); (1) im März 1936 bestellte Martin Bodmer bei Hinterberger fast die Gesamtheit der deutschen Manuskripte aus dem Katalog Nr. IX, Repräsentative Original-Handschriften. Eine berühmte Autographen-Sammlung (Hinterberger, Wien 1936), also ungefähr zweihundert Stücke; (2) im Dezember desselben Jahres erwirbt er hundertfünfundsiebzig Stücke in fremden Sprachen, davon mehrheitlich in Französisch, von einer unveröffentlichten Liste, verfasst und kommentiert von Zweig selbst; (3) im Lauf der ersten Monate des Jahres 1937 erweitert Martin Bodmer den Erwerb durch mehrere besonders wertvolle Stücke (ebenso symbolisch wie finanziell), die Zweig unter dem Namen seiner Gefährtin Lotte Altmann anbietet, sowie zahlreicher Musikautographen.

Dieser Erwerb en bloc machte es möglich, die vollständige Aufteilung einer Sammlung zu vermeiden, die schon damals als ausserordentlich angesehen wurde. Martin Bodmer begnügte sich jedoch nicht damit, den wichtigsten Teil eines „Ganzen, das würdiger wäre mich zu überleben  als meine eigenen Werke“ (Zweig, Die Welt von gestern, Stockholm 1942), zu bewahren: er verlangte von Hinterberger, die Gesamtheit der Mappen, manchmal reichlich kommentiert, zu bekommen, in denen Zweig diese Dokumente aufbewahrte. So konnte er zugleich einen Teil des aussergewöhnlichen Wissens seines Vorgängers über moderne Manuskripte übernehmen und die Kontinuität anlässlich späterer Ankäufe auf diesem Gebiet wahren.

Nach einer Positionierung der Sammlung Zweig im Rahmen der Gesamtheit der Bibliotheca Bodmeriana, kann man sagen, dass sie das Herz selbst des Bestandes moderner Autographen darstellt, (1) aufgrund ihres Umfanges und ihrer Qualität, (2) aufgrund des Zeitpunkts ihrer Eingliederung, der den Ausgangspunkt  der Berücksichtigung durch Bodmer der modernen Manuskripte für seine „Bibliothek der Weltliteratur“ (Bodmer, Eine Bibliothek der Weltliteratur, Zürich 1947) markiert und (3) für spätere Versuche, uneinheitliche Elemente neu zu gruppieren und die prinzipielle Richtung zu vertiefen. 

Im Rahmen unseres Vortrags werden wir, nach einer kurzen Einleitung über das Autograph gemäss Zweig und Bodmer, eine Präsentation des Bestandes bieten anhand einer Reihe von Infographien, die im Rahmen der Forschungen innerhalb des Bodmer Lab der Universität Genf erstellt wurden, und dann  die Archive über den Ankauf Revue passieren lassen, die sich in der Fondation Martin Bodmer befinden. Abschliessend werden wir eine provisorische Bilanz der bisherigen Arbeit geben und zu den Forschungsergebnissen kommen, welche sich aus diesem glücklichen Fund ergeben.  

(Übersetzung aus dem Französischen von Gerhard Aschenbrenner)

Der Vortrag ist hier abrufbar.

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