Nachlese zur Jahrestagung in Paris vom 25. bis 28. September 2025

von Prof. Dr. Mariana-Virginia Lăzărescu

Auf den Spuren des österreichischen Dichters, Humanisten und Pazifisten Stefan Zweig ging es in diesem Jahr nach Paris. Die Internationale Stefan Zweig Gesellschaft (ISZG), geleitet von Hildemar Holl und Malte Godglück, stellte auch diesmal ein abwechslungsreiches wissenschaftliches und kulturelles Programm in einer vertrauten Atmosphäre zusammen.

„Für das erste Jahr der eroberten Freiheit hatte ich mir Paris als Geschenk versprochen. Ich kannte diese unerschöpfliche Stadt nur flüchtig von zwei früheren Besuchen und wusste, dass, wer als junger Mensch ein Jahr dort gelebt, eine unvergleichliche Glückserinnerung durch sein ganzes Leben mitträgt. Nirgends empfand man mit aufgeweckten Sinnen sein Jungsein so identisch mit der Atmosphäre wie in dieser Stadt, die sich jedem gibt und die keiner doch ganz ergründet.“

So die Worte Stefan Zweigs im Kapitel „Paris, die Stadt der ewigen Jugend“ in „Die Welt von gestern“. Die Auswahl des Tagungsortes erfolgte somit ganz im Sinne von Stefan Zweig.

Den Auftakt stellte die Besichtigung des Museums Carnavalet dar, äußerst informativ, einmalig durch die Art und Weise, in der fast 4000 Werke wie Gemälde, Skulpturen, Möbelstücke, Zeichnungen, Fotografien, Münzen u.v.m. so ausgestellt werden, dass eine Zeitreise durch die Geschichte der Stadt Paris von den Anfängen bis in die Gegenwart lebendig und nachvollziehbar wird. Das viermal umgebaute Gebäude aus zwei Stadtpalästen bestehend ist beeindruckend, nicht nur weil die bekannte Schriftstellerin Madame de Sévigné von 1677-1696 darin wohnte, sondern auch weil besondere Manuskripte und persönliche Gegenstände berühmter Persönlichkeiten wie Voltaire, Rousseau, Victor Hugo, Proust u.a. zu sehen sind.

Nach dem Besuchserlebnis folgte die freundliche Begrüßung der zahlreichen Tagungsteilnehmenden durch Prof. Dr. Klaus Oschema, Direktor am Deutschen Historischen Institut Paris, wo zwei Vorträge zu hören waren. Prof. Dr. Stéphane Pesnel, der an der Sorbonne Université Neuere Deutsche Literaturwissenschaft (Spezialgebiete österreichische Literatur vom 18.-20. Jahrhundert) lehrt, zahlreiche Publikationen zu Joseph Roth, Hermann Hesse, Hugo von Hofmannsthal, Franz Kafka, Rainer Maria Rilke, Georg Trakl und Stefan Zweig sowie Autoren des 19. Jahrhunderts aufzuweisen hat, hielt seinen ersten Vortrag mit dem Titel „Der Meister steht staunend im steinernen Wald. Zu Stefan Zweigs Gedicht ‚Der Bildner. Meudon, Maison Rodin 1913’“, somit in engster Beziehung zur Tagung, die auch einen Besuch des Rodin Museums eingeplant hatte. Zweigs Gedicht klingt wie eine Hymne an den verehrten Meister und Schöpfer Rodin, dem es wie kaum einem anderen Bildhauer gelang, mit seinem Genie, seiner Vision und seinen „Werkmannshänden“ die rohe, steinerne, leblose Welt in eine neue, lebendige, dauerhafte zu verwandeln, der Kunst die Zeitlichkeit aufzuheben und die Dimension der Ewigkeit zu verleihen:

Sendung
War ihm gegeben,
Vollendung
Schafft Leben über dem eigenen Leben,
Gestalteter Stein ist stärker als Zeit!
Und selig erkennt er das große Licht
Ob seinen Gestalten: Unsterblichkeit.

Der zweite Vortrag von Prof. Pesnel war mit einer kurzen Power Point Präsentation eines gerade renovierten Pariser Gebäudes versehen, in welchem sich im 18. Jh. die österreichische Gesandtschaft befand. Spannende Bezüge zu Königin Marie Antoinette, Kaiserin Maria Theresia und auch zu Stefan Zweig wurden dabei hergestellt.

Im Anschluss hielt Mag. Thomas Assinger, Literaturwissenschaftler und -vermittler in Salzburg, seit 2024 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Stefan Zweig Zentrum der Universität Salzburg, den informativen Vortrag „L’homme et l’œuvre. Stefan Zweig als Literaturkritiker“ in der Reihe „Junge Wissenschaft“, die seit mehr als zehn Jahren bei den Tagungen der ISZG erfolgreich präsentiert wird. Assinger kann trotz seiner jungen Jahre zahlreiche Publikationen, Vorträge und Veranstaltungen zur deutsch- und italienischsprachigen Literatur vom 18. Jh. bis zur Gegenwart vorweisen. Zur literarischen Moderne und zu Stefan Zweig sind mehrere Aufsätze und Artikel aus seiner Feder – wie es Hildemar Holl zeitgemäß formulierte: „aus seinem Computer“ – erschienen.

Die Überraschung des Abends war das beeindruckende Video-Interview mit Eva Alberman, der Nichte von Zweigs zweiter Frau, Lotte Altmann, und Erbin des Nachlasses von Zweig. Seit Mitte der 1950er Jahre nimmt sie sich des Nachlasses des Schriftstellers an.

Am 30. April 2025, dem Gedenktag der Salzburger Bücherverbrennung, fand der Festakt zur Gründung des „Stefan Zweig Hauses“ an der Universität Salzburg statt. Somit werden sich zukünftig das „Stefan Zweig Zentrum“ und das „Literaturarchiv Salzburg“ mit vereinten Kräften weiterhin der Erforschung und Verbreitung von Zweigs Werk widmen. Aus diesem Anlass haben die in London lebenden Erben von Stefan Zweig einen wertvollen Teil seines Exilnachlasses, rund 500 Exponate wie Familienbriefe, Schriften und Möbel, nicht nach Oxford, sondern an die Universität Salzburg übergeben.

Der erste Tagungstag klang in dem stilvollen Ambiente der österreichischen Botschaft unter der Schirmherrschaft von Botschafterin Barbara Kaudel-Jensen aus, wo ein wunderschönes Konzert des Baritons und Pianisten Matthias Veit mit Tenor Jaroslaw Kwaśniewski und Bariton Malte Godglück stattfand, wonach Letzterer eine einfühlsame Lesung nach Briefen und Tagebüchern Stefan Zweigs über seine Lieblingsorte in Paris, das er wie eine zweite Heimat liebte, hielt.

Der zweite Tagungsvormittag begann ebenfalls im Deutschen Historischen Institut mit zwei Vorträgen, die zwar unterschiedliche Themen behandelten, aber die „Freundschaften Stefan Zweigs“ als Gemeinsamkeit hatten. Brigitte Vergne-Cain, professeur agrégé in Paris, seit vielen Jahren eine wichtige Vermittlerin von deutscher Literatur nach Frankreich, was sich in zahlreichen Übersetzungen und literaturwissenschaftlichen Studien zeigt, kann eine reiche Tätigkeit als Herausgeberin und Übersetzerin unter Beweis stellen. Ihr Vortrag „Stefan Zweig und Romain Rolland: die wichtigste Freundschaft?“ war gut strukturiert, bot viele gründlich recherchierte biobibliografische Informationen im klaren Überblick, baute interessanterweise Klischees über die Freundschaft zwischen Stefan Zweig und Romain Rolland ab, was schon an dem gedruckten Fragezeichen am Ende des Titels sichtbar und an der steigenden Intonation bei dessen Vorlesen hörbar wurde.

Es folgte ein brillanter Vortrag von Prof. Dr. Rüdiger Görner, Germanist, Schriftsteller und Kritiker, von 1999-2004 Direktor des Instituts für Germanistik an der School of Advanced Study, University of London und Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt sowie Träger des Verdienstkreuzes der Bundesrepublik Deutschland. Prof. Görners Vortrag auf der Tagung, „Unterwegs ins Seltenste. Über Stefan Zweig und Rainer Maria Rilke“, war detail- und lehrreich, tiefgründig und überzeugend durch die angestellten literaturgeschichtlichen Assoziationen.

Nach der Besichtigung der wichtigsten Räumlichkeiten der atemberaubenden Bibliothèque Nationale de France (BNF) mit einer Führung auf Deutsch bekamen die Teilnehmenden einen Einblick in die Autografensammlung und konnten einige Briefmanuskripte von Zweig und Heine einsehen.

Der dritte Morgen führte die Mitglieder der ISZG nach Meudon, wo Rodins Haus, Garten, Grabmal, die Galerie des plâtres, sein Atelier besichtigt wurden. Die Lesung Malte Godglücks und die Zuspielung aus der CD von Matskat „Hommage an die Symbolisten“ erinnerten nochmals an Stefan Zweigs Hommage an den „Bildner“:

Groß rauscht es im Saale, still sinken die Hände,
Stumm stehen die Statuen, weiß leuchtet der Stein.
Wie eine Legende
Geht der Meister fromm in sein Werk hinein.

Mit einem Privatbus ging es weiter zum Petit Trianon im Schlosspark Versailles, wo das Palais auf den Spuren von Marie-Antoinette und danach „Le Hameau de la Reine“ bewundert wurden. Die Führung auf Deutsch brachte viele weniger bekannte Einzelheiten aus der bewegten französischen Geschichte, die an die Essays Zweigs über große Persönlichkeiten erinnerten.

In der Salle Montgolfier des Rathauses von Versailles fand anschließend ein reichhaltiger Vortrag von Brigitte Vergne-Cain, in Zusammenarbeit mit Gérard Rudent (Paris) verfasst, zum Thema: „Ein neuer Kontinent öffnet sich bald: unsere Sammlung der über 400 Briefe Stefan Zweigs ‚A ses amis français‘“.

Bernd Oei (Liebenau, Niedersachsen) hat danach einen originellen Blick auf Königin Marie Antoinette mit witzigen Zitaten und geistreichen Anspielungen geboten. Am nächsten Tag referierte Oei über „Das Geheimnis künstlerischen Schaffens: Zweigs Faszination an Balzac, dargelegt an der Erzählung ‚Le Chef-d’œuvre inconnu‘“. Die Wirkung seiner Ausführungen war umso tiefer, als sein Vortrag in dem geschichtsträchtigen Wohnhaus von Balzac im malerischen Arrondissement Passy anberaumt wurde. Auch diesmal musste man an Zweigs Essays über die drei Meister – Balzac, Dickens, Dostojewski – denken, in denen er seine Wertschätzung für die „epischen Weltbildner des 19. Jahrhunderts“ zum Ausdruck bringt. Oei präsentierte auch seine eigenen Publikationen über Stefan Zweig.

Zum Abschluss der Tagung wurde den Anwesenden die Jahresgabe der ISZG überreicht: „‚Stefan Zweig … in aller Eile meine Biografie.‘ Michèle Schilling zum 75. Geburtstag.“ Es handelt sich um ein Autograf Stefan Zweigs, das sich in der Abteilung Handschriften und Historische Drucke der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz befindet, die den Abdruck gestattete. „In aller Eile“ schickte Zweig Anfang September 1908 ein Manuskript an Herwarth Walden, dem Herausgeber der avantgardistischen Zeitschrift „Der Sturm“. Das Manuskript ist ein Dokument, in dem sich Zweig, der sich auf einen Besuch in Berlin vorbereitete, um dort einen Vortrag über Balzac zu halten, zu seinem Status als Schriftsteller äußert und gesteht, dass ihm das Reisen und seine vielen Freundschaften und Bekanntschaften wichtiger seien als sein literarisches Werk. Michèle Schilling (Schweiz), die sich seit langer Zeit aus einer konstanten Leidenschaft heraus mit dem Briefwechsel Zweigs beschäftigt und in vielen bedeutenden Archiven recherchiert hat, führte ein reges Gespräch zu diesem Thema mit dem Buchautor, Kurator und Herausgeber Oliver Matuschek.

Zusammenfassend lässt sich behaupten, dass auch die diesjährige Tagung der ISZG eine germanistische und geistige Bereicherung war, denn auf den Spuren Stefan Zweigs nach Paris zu reisen, war ein Erlebnis für uns als Europäer. Bekanntlich war Stefan Zweigs unermüdliches Wirken einem vereinten Europa gewidmet. Seine Gedanken sind heute aktueller denn je. Er setzte sich unermüdlich für Frieden auf unserem Kontinent ein. Dass sein Ideal durch die politischen Ereignisse des Ersten und des Zweiten Weltkriegs zerbrach, dürfen wir nicht vergessen, wir sollten zu noch größeren Verfechtern eines geeinten Europas werden, das auf kulturellem Austausch und geistiger Freiheit basiert.

Alle folgenden Bilder wurden uns von unserem Mitglied Dieter Arnold zur Verfügung gestellt, dem wir sehr herzlich danken.

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