Von Ahmet Arpad (*)
Burhan Arpad (1910-1994), Schriftsteller, Journalist und Übersetzer, besucht ab 1948 jedes Jahr Salzburg anlässlich der Festspiele, sitzt immer wieder im Stammcafé von Stefan Zweig. Er lässt sich vom langjährigen, legendären Ober Fritz bedienen, unterhält sich mit ihm über seinen Stammgast Stefan Zweig. Und eines Tages geht er in das Kleidergeschäft Gollhofer am Mirabellplatz. Der Laden ist voll. Er stellt sich Herrn Gollhofer sen. vor und äußert seinen Wunsch, das Paschinger Schlössl, wenn auch nur vom Garten aus, zu besuchen. Herr Gollhofer wird gleich nervös und meint, er dürfte die Hausbewohner nicht stören. Auf die Frage hin, ob er ihn gelegentlich nicht begleiten könnte, steigt seine Nervosität. Er reagiert schroff. Seinetwegen wird er den Laden nicht verlassen. Vielleicht durch einen Anruf ihn ankündigen? Telefon sei im Obergeschoss, man hört es kaum. Er könnte ja am Gartentor läuten, sagt Burhan Arpad…. Am Gartentor sei keine Glocke, außerdem würde im Garten ein großer Hund herumspringen. Herr Arpad verlässt enttäuscht Gollhofers Laden.
Burhan Arpad ist der erste Zweig-Übersetzer der Türkei. Es fing 1943 mit „Sternstunden der Menschheit“ an. Dann kamen „Verwirrung der Gefühle“, „Der Amokläufer“, „Schachnovelle“ „Briefwechsel: Stefan Zweig – Friderike Zweig“, „Die Welt von Gestern“, „Joseph Fouché“ dazu. Auch unzählige Novellen und Erzählungen erfreuten in seiner Übersetzung den türkischen Leser. Durch ihn wurde Stefan Zweig in der Türkei bekannt und beliebt! Zweig ist leicht lesbar, er erzählt alles, ob Romane, Essays oder Novellen einfach und ungeschminkt. Die schwersten Themen kommen bei ihm leicht und verständlich hinüber. Das ist einer der Gründe, warum der türkische Leser Zweig mag. Ich glaube, er denkt bei Zweig: “Er ist einer von uns!“ Denn seine Erzählweise passt dem Naturell der Leser in der Türkei.
Nicht nur seine Romane und Novellen, auch seine Essays, vor allem aber seine Biographien sind in der Türkei sehr beliebt. „Drei Meister“ gehört zu den meistverkauften Zweig-Biographien. Seine Einmaligkeit beweist er auch in den sehr beliebten Werken wie „Drei Dichter“, „Joseph Fouché“, „Triumph und Tragik des Erasmus von Rotterdam“, „Maria Stuart“, „Balzac“ und „Magellan“. Diese weltbekannten Zweig-Werke sind in der Türkei in mehreren Auflagen erschienen. Für viele Zweig-Leser sind diese Biographien bevorzugte historische Quellen. Seine Werke sind für den türkischen Leser von Optimismus erfüllt. Er ist der Autor der Hoffnung! Zweig glaubt immer an die Macht des Friedens und der Güte. Er ermutigt und tröstet den Leser; gibt ihm in hoffnungslosen Momenten Lebensfreude. Zweig ist der Autor der kritischen, humanistischen und friedfertigen Menschen…
Seit dem 1. Januar 2013 sind die Urheberrechte von Zweig frei. Der türkische Buchmarkt wurde mit unzähligen Werken des weltbekannten Autors – zum Teil mehrfach – in kürzester Zeit überschwemmt. Es gibt mehrere türkische Verlage, die verschiedene Zweig-Bücher herausbringen, die leider jeweils von verschiedenen – meistens unbekannten – Übersetzern ins Türkische übertragen wurden. Meiner Meinung nach kann man bei einer solchen Verlags- und Verkaufspolitik nicht nur von Respektlosigkeit gegenüber den Werken von Stefan Zweig, sondern auch gegenüber seinen Lesern reden… Ein guter, erfahrener Zweig-Übersetzer stützt sich auf eine sehr intensive Kenntnis seiner Werke, seiner Sprache, seiner Ideenwelt und seiner Biographie… Mit einer solchen Verlags- und Verkaufspolitik kann dies leider nicht verwirklicht werden.
Stefan Zweig verfolgte sein Leben lang folgende Ideologie: „Ein gemeinsames Europa mit einer gemeinsamen Kultur.“ Das macht ihn für den türkischen Leser so wertvoll. Seine Darstellungen in Romanen und Novellen sind sehr bildlich und meisterhaft. Der Leser glaubt, die Person oder die Landschaft steht direkt vor ihm. Wegen seiner Empfindsamkeit, seiner hervorragenden Beobachtungen und seiner zukunftsorientierten Sichtweise ist er als Autor auch für den türkischen Leser unerlässlich und unverzichtbar.
(*) Ahmet Arpad, geboren 1942 in Istanbul, Sohn von Burhan Arpad, kam nach dem Abitur auf dem Österreichischen St. Georg Kolleg und einem Germanistik-Studium an der Universität von Istanbul 1968 nach Deutschland. Der Freie Journalist, Fotograf (35 Einzelausstellungen) und Übersetzer Ahmet Arpad hat bis heute über 50 Werke namhafter Autoren ins Türkische übertragen. Vor allem Heinrich Böll, Hermann Hesse, Stefan Zweig, Gerhart Hauptmann, Anna Seghers, Pablo Neruda, Thomas Bernhard, Harry Mulisch und Johannes Mario Simmel. Ihre Romane, Essays, Novellen und Theaterstücke fanden durch Ahmet Arpads Übersetzungen eine größere Leserschaft in der Türkei. Die von ihm bevorzugt übersetzten und in der Türkei mehrfach aufgelegten Werke sind meistens gesellschaftskritisch.
Ahmet Arpad ist langjähriges Mitglied des Deutschen Presseverbandes, der Internationalen Schriftstellervereinigung (PEN), des Stefan Zweig Centre Salzburg, der Internationalen Stefan Zweig Gesellschaft Salzburg und des türkischen Berufsverbands der Übersetzer (ÇEVBİR). Beiträge des freien Journalisten Arpad erscheinen seit 1986 regelmäßig in der Istanbuler Tageszeitung Cumhuriyet.
Ahmet Arpad erhielt 2012 den Übersetzerpreis Tarabya in Istanbul. Er wurde für sein „übersetzerisches Lebenswerk“ mit dem Hauptpreis ausgezeichnet. Dieser Preis wird seit 2010 gemeinsam vom Auswärtigen Amt der Bundesrepublik Deutschland und dem Ministerium für Kultur und Tourismus der Republik Türkei verliehen. Ahmet Arpad bekam 2016 für die erfolgreiche Übersetzung des Romans „Transit“ von Anna Seghers den Talât Sait Halman Übersetzerpreis der Istanbuler Kultur und Kunst Stiftung.
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Auch wenn der Artikel insgesamt sehr löblich ist, so stimmt die Hauptaussage dass Burhan Arpad der erste Zweig-Übersetzer der Türkei ist, nicht, denn er war weder der erste noch der einzige Zweig-Übersetzer in der Türkei. Das möchte ich an zwei Beispielen demonstrieren: So erschien Dickens von Stefan Zweig bereits 1940 in Istanbul und die Schachnovelle von Stefan Zweig in der Übersetzung von Nevzat Güven 1944 in Ankara.