Jahrestagung: In Ostende – auf den Spuren von Stefan Zweig und Joseph Roth

Unser Mitglied Rudolf Angeli reiste wenige Tage nach der Tagung der Pirckheimer-Gesellschaft nach Ostende, um an der Jahrestagung der ISZG teilzunehmen. Hier lesen Sie seinen Bericht über die Jahrestagung 2022 in Ostende.


In Ostende – auf den Spuren von Stefan Zweig und Joseph Roth

Bereits vier Tage nach Rückkehr aus Oldenburg machte ich mich auf den Weg nach dem belgischen Seebad Ostende. Die Internationale Stefan Zweig Gesellschaft (ISZG, Salzburg) hatte ihre Mitglieder zum Jahrestreffen vom 30.9. bis 2.10. an diesen Ort geladen.          

Ostende war in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg eine mondäne Stadt an der See, in der sich Künstler, Schriftsteller und Bohemiens ein Stelldichein gaben, ja für einige Zeit ihren Wohnsitz nahmen.         
Schon bald nach Beginn des „Tausendjährigen Reiches“ suchten viel deutsche Juden in Ostende und in den Nachbargemeinden Zuflucht und Exil. So wurde Albert Einstein 1933 im nahe gelegenen De Haan (Le Coq-sur-mer) für sechs Monate der berühmteste Einwohner. An jeder Straßenecke wird an Einstein erinnert. Nicht nur deshalb ist De Haan einen Besuch von Ostende aus wert (mit der Tram leicht zu erreichen); in dieser Gemeinde blieben viele Häuser der Belle Époque und des Jugendstils erhalten im Gegensatz zu Ostende, dessen schöne Architektur im Zweiten Weltkrieg zerbombt wurde.

Die Stefan Zweig Gesellschaft hatte sich Ostende zum Ziel genommen, da dort eine gut belegte, schicksalhafte Begegnung zwischen Stefan Zweig und Joseph Roth stattgefunden hat und man dieser Begegnung nachspüren wollte.

Ausführlich beschreibt Volker Weidemann diesen Begegnungssommer in seinem lesenswerten Buch „Ostende 1936, Sommer der Freundschaft“, 2014, Kiepenheuer & Witsch.          
Das Programm des Treffens, das von den Vorsitzenden der Stefan Zweig Gesellschaft, Hildemar Holl und Malte Godglück, mit viel Aufwand und Engagement geplant und vorbereitet worden war, kann man nur als sehr gelungen bezeichnen. Es hat sich gelohnt!

Das erste Zusammentreffen fand im Café im Kulturzentrum „De Grote Post“ statt.           
 
Els Snick, die Gründerin und Leiterin der niederländisch-flämischen Joseph Roth Gesellschaft führte die Gruppe kompetent durch Ostende zu den Erinnerungsorten von Zweig und Roth.

Anschließend besuchten wir das James-Ensor-Museum. Ensor war einer der bekanntesten belgischen Maler, geboren und gestorben in Ostende.

Das gemeinsame vorzügliche Abendessen fand in kultureller Umgebung statt: In der Galerie Beausite, Malte Godglück begleitete mit einer Lesung.

Samstag Vormittag trafen wir uns in dem für uns reserviertem Lesehaus (Leeshuus), um zwei bereichernde Vorträge zu hören: Der Philosoph Bernd Oei, ein begnadeter fesselnder Redner, den wir schon von dem Jahrestreffen 2019 in Hamburg kannten, sprach über „Joseph Roth, vor, mit und gegen Stefan Zweig“. Anschließend war Gelegenheit, zwei seiner Bücher zu erstehen. Im Anschluss schilderte Els Snick sehr bildhaft und fesselnd die Exilzeit von Joseph Roth in Ostende.           
Nach einer kurzen Lunchpause in einer der beliebten Brasserien machten wir uns mit Tram und Eisenbahn auf den Weg nach der nahegelegenen Stadt Brügge, dem Venedig des Nordens, einem Städtchen, das weitgehend unberührt blieb von den Vernichtungen der Weltkriege und daher sich zu einem der ersten belgischen Touristenziele entwickelt hat. Nach einem Stadtspaziergang durch das Touristengedränge, Bootsfahrt auf den Brügger Grachten und Besuch einer Schokoladenmanufaktur (The Chocolate Crown) kamen wir in der weitläufigen Brasserie „De Halve Maan“ (Der halbe Mond) für ein deftiges Grill-Abendessen zusammen. Die Grillspezialitäten wurden an dem großen offenen Kaminfeuer gegart; dazu schmeckte natürlich das hauseigene Bier am besten.

Auch der folgende Sonntag Vormittag bot anspruchsvolle Programmpunkte:
Mit einer Fähre setzten wir über zu De Cierk, einem modernen Unternehmen, das auf seinen großzügigen Flächen einen Fischmarkt im Erdgeschoß mit Vortragsraum und einem Fischrestaurant in der ersten Etage verbindet.

Nach Vorträgen von Julia Glunk („Stefan Zweig – Franz Masereel“) und Brigitte Vergne-Cain und Gerard Rudent („Stefan Zweig, Emile Verhaeren und Belgien“) wurde uns ein letzter Höhepunkt geboten: die junge brasilianische Sopranistin Manuela Vieira sang Lieder aus der „Saudade Stefan Zweig“, am Klavier begleitet von Matthias Veit.
Das besonders Erwähnenswerte ist, dass Manuela Vieira in Petropolis, ja in der Straße aufwuchs, in der Stefan Zweig seine letzte Wohnstätte hatte.   
Nicht enden wollender Applaus forderte Zugaben, die die Künstler gerne schenkten, ehe wir uns zum Abschluss an einen sehr langen Tisch zu dem ausgedehnten Gourmet-Menü setzten.          
Welch schöner und auch schmackhafter Abschluss! Die Tischgespräche waren so anregend, dass die Gesellschaft sich kaum trennen wollte. Die letzten verließen dieses Mittagessen im De Cierk erst gegen 17:30 Uhr um die Heimreise anzutreten oder noch eine extra Nacht in Ostende zu verbringen.

Drei Tage eintauchen in die Zeit der dreißiger Jahre, den Zeiten Stefan Zweigs und Joseph Roths in Belgien, die wunderbaren Darbietungen, Begegnungen und Gespräche mit den angereisten internationalen hochkarätigen Künstlern und Mitgliedern der Gesellschaft hinterließen eine tiefe Dankbarkeit, aber auch Vorfreude auf weitere zukünftige Treffen der Stefan Zweig Gesellschaft.

 

(Leo = Rudolf Angeli, Hamburg, Mitglied der ISZG)           
Erstveröffentlichung im „Hamburger Bothen“, einem zweimonatigen, bibliophilen Newsletter. Bei Interesse an kostenfreiem Bezug/ Gastabonnement bitte Anmeldung an Rudolf_Angeli@web.de.
Besuchseinladung zur Verlagswebseite: Angeliundengel.art

Ein Kommentar

  1. Dr. Margrit Hansen

    Dem Bericht über die wunderbare Tagung der Internationalen Stefan Zweig Gesellschaft von Rudolf Angeli kann ich aus ganzem Herzen zustimmen. Ob es die einzelnen Programmpunkte in Ostende waren, die Fahrt nach Brügge, das gemeinsame Essen in den vorzüglichen, aber immer wieder unterschiedlichen Restaurants, – alles war wunderbar stimmig von Hildemar Holl und Malte Godglück vorbereitet und betreut. Herzlichen Dank!
    Für mich war das Programm am Sonntag der absolute Höhepunkt – vielleicht weil sich hier auch die bildende Kunst und die Musik mit der Literatur und dem Gespräch (als Interview Vieira – Godglück) aufs Schönste verbanden: Wunderschöne Räumlichkeiten, die bilderreiche Präsentation (Franz Masereel) von Julia Glunk, der gemeinsame Vortrag von Brigitte Vergne-Cain und Gerhard Rudent sowie das Konzert (Gesang, Klavier) von Manuela Vieira und Matthias Veit.
    Das Programm aus „Saudade Stefan Zweig“ rührte an das Gefühl, etwas Geliebtes verloren zu haben; es spiegelte ebenso die persönlichsten Empfindungen Stefan Zweigs wider, seine Sehnsucht, Trauer und Entwurzelung. Er zerbrach am Exil. Die französische Philosophin Simone Weil (1909 -1943) hat dafür die beste Diagnose gestellt. Als Jüdin, die deutsche Besatzung in Frankreich und Spanien überlebte, doch dann in England starb, hat sie Entwurzelung erlebt. In ihrem politischen und philosophischen Testament (Les besoins de l’âme, Le Déracinement und L’Enracinement, legt sie dar, dass die Entwurzelung zu einer schweren Erkrankung der Seele führen kann und bei weitem die gefährlichste Krankheit der menschlichen Gesellschaft ist. Wenn die Bedürfnisse der Seele nicht befriedigt werden, führen sie, genau wie bei unerfüllten körperlichen Lebensbedürfnissen, zu einem lebensgefährlichen Zustand.
    Ich hoffe auf weitere anregende Treffen der Stefan Zweig Gesellschaft.
    Margrit Hansen

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